Schmidt liest Proust
Montag, 7. August 2006

Odessa, Uspenskaja 13 - S.397-411

Eine Exkursion nach Wilkowo, ins "Venedig der Ukraine". Wahrscheinlich wird jede Stadt, die ueber auffaellig viele Bruecken verfuegt, als Venedig bezeichnet. So wie China ja lange das Berlin Asiens war, weil dort eine Mauer steht. Wir haben Unglueck im Glueck, einerseits fahren wir in einem alten Mercedesbus und betrachten die Busse, mit denen die normalen Reisenden hier unterwegs sind, nur von aussen, andererseits hat unser Bus Bildschirme, weshalb wir die Patrick-Swayze-DVD des Fahrers durcharbeiten muessen. Was fuer eine Wirkung "Dirty Dancing" in der DDR hatte, ist heute ja kaum noch nachvollziehbar, dafuer muss man schon ein paar Jahre in Staub und Dreck dahinvegetieren und ploetzlich unter bunt gekleidete, geschmeidige Koerper geraten, die sich mittels spezieller Tanzschritte fuer ihr Recht auf Meinungsfreiheit einsetzen. Mit diesem Film hat Patrick Swayze sich ein Denkmal geschaffen, von dem er nun von Zeit zu Zeit herabsteigt, um uns zu beweisen, dass er auch nur ein Mensch ist. Z.B. in einem der Filme, die wir im Bus unterwegs nach Wilkowo sehen, und dessen Drehbuchautor es gelingt die Themenbereiche Bankueberfall, Surfen und Fallschirmspringen zu verbinden, sicher das Resultat ausgedehnter Studien zur Kombinatorik des Plotwritings. Dazu von hinten die pausenlosen historischen Anmerkungen der Exkursionsleiterin, die sich eines Megaphons von 1983 mit eingebauter Rueckkopplung bedient. Das erklaert vielleicht, warum ich heute nur 15 Seiten geschafft habe. Wenn man bedenkt, dass Proust in einem schallisolierten Zimmer geschrieben hat, ist diese Leistung nur um so hoeher zu bewerten.

Wir sind immer noch bei der Marquise de Saint-Euverte, wo sich auch die Prinzessin des Laumes zeigt. Wenn sie notgedrungen jemanden begruessen muss, der ihr nichts bedeutet, dann "indem sie ihr die Hand hinhielt wie eine Karte, mit der man notgedrungen 'bedient'." Andererseits war die Prinzessin "ausserstande, ein Kompliment anzuhoeren, das ihr galt, ohne es aeusserst reizvoll und unwiderstehlich launig und lustig zu finden." Beneidenswert, mir geht es eher so, dass ich diejenigen nicht beneide, die mir Komplimente fuer meine Leistungen machen muessen, fast scheint es mir leichter, die Leistung zu erbringen, als sie zu preisen, man bleibt doch, wenn man von Kunstwerken schwaermt, immer unter dem Niveau der Vorlage.

Dass man eine Geige beim Spielen sieht, veraendere schon die Klangfarbe, die wir wahrnehmen, sagt Proust (auch dass man weiss, dass der Violonist besonders beruehmt ist?)

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