Schmidt liest Proust
Sonntag, 6. August 2006

Odessa, Uspenskaja 13 - S.376-397

Irgendwie ist Swann ja eine Art Old Shatterhand, ein Held, der eigentlich keine ernsthaften Probleme hat, und wenn er zu den normalen Menschen herabsteigt, dann nur um sich zu zerstreuen, wobei er hier und da aufblitzen laesst, ueber welche Kraefte er eigentlich verfuegt. Dieser lässige Umgang mit der eigenen Klasse, wie bei Richard Gere in "Pretty Woman". Aber da es kein „Pretty Woman II“ gibt, wissen die wenigsten, wie schlecht Julia Roberts Richard Gere, nachdem sie ihn einmal zur Hochzeit bewegen konnte, behandelt hat.

Eine Gesellschaft bei der Marquise de Saint-Euverte. Stellenweise klingt in der Beschreibung der Gesten schon Kafka an, wobei es schon peinlich ist, in irgendwelchen Texten Anklaenge an Kafka sehen zu wollen. Die vielfaeltige Dienerschaft hat noch Stil: "Der eine von ihnen, der besonders trutzig wirkte und etwa einem Henker auf gewissen Renaissancebildern glich, die Folterungen darstellen, trat mit unbeweglicher Miene auf ihn zu, um ihm die Sachen abzunehmen. Doch wurde die Härte seines stählernen Blicks durch die Weichheit seiner Baumwollhandschuhe kompensiert, so daß es Swann vorkam, als bezeige er zwar Verachtung für seine Person, desto größeren Respekt jedoch für seinen Hut." Wie bei "Das Haus am Eaton Place" spiegeln sich die aristokratischen Manieren der Herren in der Welt der Diener, vielleicht haben sie sich bei ihnen sogar noch reiner erhalten, weil sie der Bewunderung entspringen, während die Aristokraten sich ja im Grunde nur noch selbst verachten. "Das Gefühl für männliche Häßlichkeit kehrte bei Swann rasch wieder zurück, als jenseits des Tapisserievorhangs auf das Schauspiel der Bedienten das der Gäste folgte." Der eine hat ein Monokel "das zwischen den Lidern wie ein Granatsplitter in einem vulgären, narbendurchfurchten, überheblichen Antlitz unter einer scheinbar einäugigen Zyklopenstirn wirkte..." Der andere ist "ein Gesellschaftsschriftsteller, der soeben als sein einziges Instrument der psychologischen Durchdringung und der unerbittlichen Analyse ebenfalls ein Einglas in den Augenwinkel geschoben hatte..." Und die Marquise de Gallardon leidet darunter, daß ihre Verschwägerung mit den Guermantes nicht allgemein gewürdigt wird: "...die fortwährenden Zurücksetzungen hatten sie gestrafft, wie jene Bäume, die durch ihren schlechten Standort am Rande eines Abgrunds genötigt sind, steil nach hinten zu wachsen, um das Gleichgewicht zu bewahren." Was waere von dem Buch übriggeblieben, wenn nach heutiger Sitte jeder, der darin schlecht wegkommt, den Autor verklagt hätte?

Verlorene Praxis: - Eine rückwärtige Stiege für Lieferanten besitzen.

Unklares Inventar: - „Aubussonteppiche“

  • „Silberdiener“

... Link


Online for 8019 days
Last update: 14.08.11, 11:14 Mehr über Jochen Schmidt
status
Youre not logged in ... Login
menu
search
calendar
recent updates
Neues Blog
Ein Aufenthalt in Bukarest hat mir Lust gemacht, wieder ein Blog zu beginnen....
by jochenheißtschonwer (14.08.11, 11:14)
Das Buch ist da
Lange war es nur ein Blog, jetzt ist es endlich ein...
by jochenheißtschonwer (28.09.08, 19:19)
Gibt es ein Leben nach
dem Proust? Liebe Blogleser, ich danke jedem einzelnen von Euch...
by jochenheißtschonwer (30.01.07, 21:50)
Berlin - VII Die wiedergefundene
Zeit - Seite 427-447 (Schluß) - Was ham wirn heute...
by jochenheißtschonwer (28.01.07, 16:25)
Berlin - VII Die wiedergefundene
Zeit - Seite 407-427 Eisiger Wind blies mir ins Gesicht,...
by jochenheißtschonwer (27.01.07, 01:37)
Berlin, Warschauer Straße, Firstbase-Internet-Café -
VII Die wiedergefundene Zeit - Seite 387-407 Warum hört man...
by jochenheißtschonwer (25.01.07, 19:02)

RSS Feed

Made with Antville
Helma Object Publisher