Schmidt liest Proust |
Mittwoch, 22. November 2006
Berlin - V Die Gefangene - Seite 5-25 jochenheißtschonwer, 22.11.06, 20:08
Auch daß der Drucker Kanon heißt, ist eigentlich ein gutes Zeichen. Seite 5-25 Ein neues Buch, offenbar hat sich die wirtschaftliche Lage der DDR damals verschlechtert, denn das Papier ist etwas grauer und grober. Ich bin ein wenig mutlos, wenn es jetzt nur noch um Marcels Eifersucht auf Albertine gehen soll, wäre das deprimierend. Es gibt doch auch so viel Schönes auf der Welt, man muß doch nicht immer nur das Negative betonen. Marcel ist zurück aus Balbec, die Mutter ist für ein paar Wochen nach Combray gefahren, und Albertine hat ein Zimmer in ihrer Wohnung bezogen, wo sie "...jeden Abend sehr spät, bevor sie mich verließ, noch ihre Zunge in meinen Mund schob wie das tägliche Brot, eine stärkende Nahrung..." Am Morgen hört er sie schon durch die dünne Badezimmerwand, sofern er denn aufsteht, denn: "Zu andern Malen blieb ich auch liegen und träumte, solange ich wollte, denn ich hatte angeordnet, daß niemand in mein Zimmer kommen dürfe, bevor ich geläutet hätte; das aber dauerte, weil die elektrische Klingel über meinem Bett recht unbequem angebracht war, oft so lange, daß ich, müde, nach ihr zu tasten, und ganz zufrieden, allein zu sein, fast wieder eingeschlummert noch ein paar weitere Minuten liegenblieb." Zu faul nach der Klingel zu tasten, die den Diener herbeiruft, was soll ich da sagen? Ich muß mich ja sogar selber anziehen, auch die Socken. Er wird immer noch nicht müde, sein Desinteresse an Albertine zu betonen, "...die ich übrigens kaum noch hübsch fand, bei der ich mich langweilte und die ich im Grunde nicht mehr liebte, wie ich deutlich empfand..." Was soll man ihm da raten? "Ihr etwas unbequemer Charme bestand darin, im Hause nicht eigentlich wie ein junges Mädchen, sondern eher wie ein Haustier anwesend zu sein, das in ein Zimmer eintritt und es wieder verläßt, sich überall befindet, wo es nicht erwartet wird..." Albertine, die "ungeachtet törichter Sprachgewohnheiten, die sie noch beibehielt, sich doch erstaunlich entwickelt hatte [..] Es war mir an sich völlig gleichgültig, denn überlegene geistige Qualitäten haben mich bei einer Frau immer sehr wenig interessiert." Trotzdem ist er eifersüchtig: "Meine Eifersucht entstand aus Bildern, aus Selbstquälerei, nicht aber nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit." Verlorene Praxis: - Als Mutter in so sanftem Ton mit der Freundin des Sohns sprechen, "wie eine Mutter, deren Sohn gerade schwer verwundet worden ist, und die der jungen Geliebten Dank weiß, daß sie ihn mit Aufopferung pflegt." Selbständig lebensfähige Sentenz: - "Jede gesellschaftliche Klasse hat ihre eigene Pathologie." Bewußtseinserweiterndes Bild: - "Wenn sie sie [ihre blauen Augen] schloß, so war es, als hinderten einen Vorhänge daran, auf das Meer zu blicken."
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