Schmidt liest Proust
Freitag, 17. November 2006

Berlin - IV Sodom und Gomorra - Seite 603-624

Im Stadion lag auf der Innenbahn eine tote Maus auf dem Rücken, ein Bein in die Luft gestreckt. Vielleicht war jemand draufgetreten? Oder war sie selbst im Kreis unterwegs gewesen und hatte sich überschätzt? Sollte man sie aus dem Weg räumen? Aber warum? Damit alles wieder seine Ordnung hat, und man nicht an den Tod erinnert wird, wenn man seine Runden dreht? Wenn ich auf der Innenbahn sterbe, will ich auch nicht, daß man mich einfach wegräumt und weitermacht, als sei nichts gewesen. Eigentlich hat die Maus es gut, ich quäle mich hier, meinen Körper zu stärken, und sie hat es hinter sich und kann relaxen und muß niemandem mehr zu gefallen versuchen.

Seite 603-624 Geht dem Autor die Luft aus? Oder uns Lesern? Das vierte Buch schleppt sich etwas uninspiriert ins Ziel. Der Erzähler nimmt eine Eisenbahnfahrt mit der normannischen Bahn zum Anlaß, auf jeder Station Episoden aus der Vergangenheit zu assoziieren, deren Erwähnung an sich nicht besonders einleuchtet und wobei es auch zu keinem der "für jede Eisenbahnfahrt charakteristischen Zwischenfälle" kommt. Das läßt Zeit, noch einmal auf den wiederholt angewandten Trick hinzuweisen, historische Persönlichkeiten einzuflechten, die wir eigentlich schon in Figuren des Romans porträtiert gefunden meinten. So behauptet Marcel, Sarah Bernhardt bislang nicht in "Phädra" gesehen zu haben, was schon sehr dreist erscheint, nach dem Aufriß um seinen Besuch einer Vorstellung der Berma in ebendiesem Stück.

Die Eifersucht zwischen den Cambremers und den Verdurins, ich sage mal: geschenkt.

Marcel richtet es bei der Rückfahrt von den Gesellschaften so ein, daß er im Wagen neben Albertine sitzt, "denn wir beide konnten so mancherlei in einem dunklen Wagen tun, in dem das Holpern bei der Abwärtsfahrt uns im übrigen entschuldigte, falls ein jäher Lichtstrahl in das Innere drang und wir gerade aneinandergeklammert dasaßen." Von mir ist er sowieso entschuldigt, wenn er sich an sie klammert, das wäre nicht das Problem.

Unklares Inventar: - Krätzer.

  • Schauspieler: Périer, Comaglia, Dehelly

Verlorene Praxis: - Weine chambrieren lassen.

  • Als Hoteldirektor mit einem bloßen Blick veranlassen, daß eine Korkscheibe unter den Fuß eines Tisches geschoben wird, der nicht ganz fest stand.
  • Als Prinzessin von Geblüt die Herzoginnen zwar hinausgeleiten, jedoch nur bis zur Mitte des nächstfolgenden Zimmers.
  • Sich die Puffen überkämmen.

Selbständig lebensfähige Sentenz: - "...denn er kannte alles, was Paris betraf, bis ins Detail, wie nur Leute, die selten dorthin kommen."

  • "...denn es gibt etwas, was noch schwieriger ist als eine ärztliche Vorschrift strikt zu befolgen, das ist, es anderen nicht auch aufzwingen zu wollen."

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Last update: 14.08.11, 11:14 Mehr über Jochen Schmidt
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